(mh) Ich war im Gefängnis. Am Eingang musste ich meinen Personalausweis und alle Geräte mit Internetanschluss abgeben. Die wurden dann in einen hellbraunen Papierumschlag gesteckt und über einen Mechanismus ins Innere der Empfangszentrale geschleust. Dahinter saß ein Justizvollzugsangestellter, neben mir standen zwei Polizisten. Sie schlossen das Gitter zum Innenhof auf und hinter mir wieder zu. Wir liefen über den Innenhof und ich wusste, dass ich hier nicht mehr alleine raus kommen würde. Wir betraten das Haupthaus, liefen einige Treppen nach oben, durch einige verschlungene Räume und standen auf einmal in einem Kirchraum, in dem die Anne Frank Ausstellung stattfindet.
Denn ich habe nichts verbrochen. Auf meinem Weg in den Kirchraum war ich auch nicht alleine, sondern wurde von ca. 10 anderen Jugendlichen begleitet. Wie sie, habe ich die seltene Chance genutzt, einmal das Gefängnis in Münsters Innenstadt zu betreten, in das man sonst nur mit einer Strafe oder einem Job rein kommt. Das hatten wir beide nicht, aber wir hatten Anmeldungen zur Ausstellung.
“Lasst mich ich selbst sein.” Anne Franks Lebensgeschichte
Sie ist speziell für Justizvollzugsveranstaltungen bestimmt. Zunächst hatte die Anstalt 2019 versucht, die Ausstellung nach Münster zu holen, was jedoch von der Pandemie vorerst unterbunden wurde. Um so glücklich waren alle Mitwirkenden, die Ausstellung am 17.02.2023 doch endlich eröffnen zu können.
Die Ausstellung besteht aus Bannern, die in jeweils thematischen Gruppen ausgestellt sind. Im Kirchraum stehen sie in einem Halbkreis angeordnet, in der Mitte stehen nach vorne ausgerichtete Stuhlreihen. Es ist keine Ausstellung die ästhetische oder künstlerische Ziele verfolgen würde. Stattdessen wird das Leben der Anne Frank dargestellt und erklärt, sodass die Geschichte mehr im eigenen Kopf gemalt wird. Unterstützt werden diese gedanklichen Bilder von historischen Bildern aus der Zeit und von Anne Frank selbst.
Wer erzählt Annes Geschichte?
© Anne Frank Zentrum und JVA MünsterAuch das ist besonders, es sind nämlich Insassen der JVA, die als “Peer Guides” durch die Ausstellung führen. Sie haben sich einige Tage vorher mit einem Seminar über Anne Frank und ihre Geschichte vorbereitet, um dieses Wissen dann zu teilen. Ich war mit der ersten Gruppe dort, die die Ausstellung nach der Eröffnung besuchen durfte, weshalb alle noch sehr aufgeregt waren. Als wir reinkamen stand für einen Moment alles still, nur um dann leiser weiter zu gehen. Spätestens in der Einleitung wurde diese leicht verkrampfte Stimmung aber gebrochen, als die Peer Guides sich vorstellten: “Hallo auch von uns Knackis!”
Das ist auch wichtig: Man darf mitmachen.
Als große Gruppe gehen alle Teilnehmenden zusammen durch die Ausstellung. Am Anfang werden Bildkarten verteilt, von denen manche auf den ausgestellten Bannern wieder auftauchen. Wer eine dieser Karten erhalten hat, beschreibt sie für alle. Es können jederzeit Rückfragen gestellt werden, wenn man etwas nicht verstanden hat. Auf der anderen Seite stellen die Peer Guides auch Fragen an die Gruppe. Wer schon Vorwissen hat, kann dieses einbringen. Zum wirklichen Mitmachen-Teil kommt es dann im zweiten Teil der Ausstellung.
Nachdem Annes Geschichte erzählt wurde, wird sie auf heute übertragen. Die erste Frage dazu ist: Wer bin ich? Es folgen Schlussfolgerungen zum Schubladendenken, gesellschaftlichen Kategorien und dem Ausschließen von Minderheiten. So wird gezeigt, dass Annes Geschichte auch heute noch relevant ist. Ein Satz, den sie in ihr Tagebuch schrieb, lautet: Einmal wird dieser schreckliche Krieg doch aufhören, einmal werden wir auch wieder Menschen und nicht allein Juden sein.” Nach diese Art wurden wir gebeten, einen Satz zu schreiben. Von “Einmal wird es Frieden für alle geben.” bis zu “Einmal wird Preußen Münster deutscher Meister werden.” war alles dabei.
Die übrigen Fragen
Ganz am Ende, als alle Fragen zu Anne Frank und zum Schubladendenken geklärt waren, durften auch noch Fragen an die Peer Guides selbst gestellt werden. Es hatte schon vorher in der Luft gehangen, denn natürlich hat man Fragen an Menschen, die im Gefängnis wohnen. Weil sich die Peer Guides in der Ausstellung mit dem Vorstellen abgewechselt hatten, hatte man schon einen kleinen Eindruck von ihnen bekommen. Im zweiten Teil war es auch ein wenig persönlich geworden, was es auch werden muss, damit solche persönlichen Fragen wie “Wer bin ich?” funktionieren. Ich kann nur für mich sprechen wenn ich sage, dass ich die Fragerunde am Ende als sehr schön wahrgenommen habe. Sie hat das Erlebnis noch einmal abgerundet.
Am Ende sind alle Besucher natürlich wieder rausgekommen. Ich habe leider meine Gruppe, mit der ich rausgehen sollte, verpasst, weshalb ich mit einer späteren Gruppe gehen musste. Das war natürlich nicht schlimm, aber die Polizisten haben mich nicht einfach gehen lassen, sondern begleiteten mich mit den anderen zur Pforte. Bevor ich gehen konnte, wurde auch kurz das Tor nicht aufgemacht und ich konnte tatsächlich nicht raus, bis jemand den passenden Knopf drückte. So lange man raus kommt ist das okay, aber das Gefühl so völlig fremdbestimmt zu sein, ist prägend im Gefängnis.
Insgesamt finde ich das Konzept dieser Ausstellung sehr cool. Einmal wird sie von Insassen geführt, wodurch sie sich mit Annes Geschichte und den gesellschaftlichen Werten beschäftigen können. Zum anderen können auch noch andere Menschen kommen und das Wissen wird geteilt. Man nimmt sowohl geschichtliches Wissen als auch Denkanstöße zu sich selbst mit.
Das ist gut für die Gesellschaft.
Noch ein großartiger Punkt ist, dass die Ausstellung eben im Gefängnis steht. Solch ein Gebäude hat nicht immer die beste Reputation in der Gesellschaft und kann oft abschreckend wirken. Eben so abschreckend kann der Gedanke an die Verbrechen sein, die die Menschen darin begingen. Es sind genau solche Vorurteile, um die es auch um der Ausstellung geht, denn die Insassen sind mehr, als ihre Verbrechen.
Öffnungszeiten und Anmeldung:
Die Ausstellung findet noch bis zum 02.02.2023 in der Justizvollzugsanstalt Münster statt.
Die Ausstellung ist für die Öffentlichkeit mittwochs und freitags von 10:00-12:00 Uhr und donnerstags von 16 bis 18 Uhr zugänglich. Eine Anmeldung ist notwendig.
- Weitere Informationen zur Anmeldung -> einfach eine Mail schreiben.
Ort: JVA Münster, Gartenstraße 26, 48147 Münster
Hier noch ein bisschen Angeber-Wissen über die JVA Münster
Heute kennen wir sie als Innenstadt-Gefängnis, als sie aber 1853 eröffnet wurde, stand sie noch vor den Toren der Stadt. Die Stadt ist sozusagen über sie hinausgewachsen. Die JVA wurde gebaut, weil das damalige andere Gefängnis (der Zwinger) überfüllt war. 1971 wurde in der JVA das Pädagogische Zentrum eröffnet, in dem Insassen aus ganz NRW ihre Schulbildung nachholen können. 2016 wurde ein Großteil der Anstalt wegen Einsturzgefahr geräumt, auch das Pädagogische Zentrum zog in die Anstalt in Werl. Ein neues, modernisiertes Gefängnis wird in Wolbeck gebaut.